Frühe Erfahrungen prägen uns

Frühe Erfahrungen beeinflussen unser Leben

Unsere frühen Erfahrungen prägen unser Denken, Fühlen und Verhalten. Aus den frühen Erfahrungen leiten wir innere Erwartungshaltungen darüber ab, wie wir selbst, die Welt und die anderen sind.

Eine hohe emotionale Erfahrungsintensität so wie Wiederholungen forcieren die Abspeicherung

Nicht jede Erfahrung wirkt sich gleichermaßen prägend auf uns aus. Am einprägsamsten sind jene Erfahrungen, die mit einer hohen emotionalen Intensität einhergehen. Dies sind Erfahrungen, die eine besondere Bedeutung für uns haben und die mit intensiven Gefühlen einhergehen. Auch wenn sie nur ein einziges Mal auftreten, prägen sich emotional aufgeladene Erfahrungen massiv ein. Beispiele dafür wären: in der Schule vor der Klasse lächerlich gemacht zu werden, ein schwerer Unfall, aber auch positive Erfahrungen, wie etwas geschafft zu haben, das man lange ersehnte, oder die erste große Liebe.

Es gibt noch eine weitere Erfahrungsgruppe, die sich ebenfalls prägend auf uns auswirkt. Während wir uns der intensiven Erfahrungen meist bewusst sind, ist uns die zweite Erfahrungsgruppe häufig weniger bewusst. Es sind jene Erfahrungen, die sich in unserer Geschichte dauernd wiederholen. Der Vater, der immer genervt war und für uns nie Zeit hatte, weil er müde von der Arbeit nach Hause kam. Die Großmutter, die wir nur weinerlich kannten, oder die Mutter, die tröstend mit einem Teller Suppe in der Tür stand, wenn wir krank waren. Wiederholen sich Erfahrungen, benötigen sie keine intensiven Emotionen. Die ständige Wiederholung bewirkt, dass wir automatisch gewisse Reaktionsweisen von anderen erwarten. Mit der Zeit gehen wir davon aus, dass der Vater müde ist, die Oma jammert und die Mutter uns versorgt, wenn wir krank sind.

Aus unseren Erfahrungen leiten wir unser Verständnis von der Welt ab

Unsere Erfahrungen schaffen eine Blaupause für unsere spätere Wahrnehmung von uns selbst, der Welt, wie den anderen. Schlussendlich formen unsere Erfahrungen unsere Wahrnehmung, unsere Art des Denkens, Fühlens, unsere Strategien, Muster und Reaktionen.

Haben wir beispielsweise häufig erlebt, dass wir von Personen abgelehnt wurden, fangen wir an eine Ablehnung zu erwarten. Üblicherweise verallgemeinern wir unsere Erwartungshaltung. So erwarten wir nicht nur von jenen Personen abgelehnt zu werden, die uns ablehnten, sondern gehen bei neuen Kontakte davon aus, dass wir abgelehnt werden, und versuchen uns vor weiteren Ablehnungen zu schützen. Wir gehen daher vorsichtig oder gar misstrauisch auf andere zu, sind verschlossen und ziehen uns bei jeder Kleinigkeit sofort zurück oder fangen an uns zu verteidigen und greifen den anderen an.

Haben wir hingegen immer wieder erlebt, dass andere uns freundlich begegnen, gehen wir gar nicht davon aus, dass uns neue Bekanntschaften ablehnen könnten. Weil wir keine Ablehnung erwarten, werden wir offen und freundlich auf andere Menschen zugehen.

Auf Basis unserer Erfahrungen entwickeln wir Erwartungen

Nicht alle Erwartungen sind uns bewusst. Wir entwickeln
  • Vorstellungen und Annahmen über uns selbst, darüber wie wir sind – beispielsweise hübsch, liebenswert, erfolgreich oder auch dumm, nur zweite Wahl oder sowieso unfähig.
  • Erwartungen über andere – dass andere uns unterstützen, mögen, wohlwollend gegenüber uns sind und uns helfen, aber auch, dass andere uns gegenüber feindlich gesinnt sind, uns betrügen, belügen, nur auf einen schwachen Moment warten, um uns zu verletzen oder zu verlassen.
  • Erwartungen an das Leben - dass uns das Leben freundlich gesonnen ist und uns unterstützt oder gegen uns ist und uns immer nur Prügel in den Weg wirft.

Erfahrung und Information

Wir lernen über Erfahrungen und Informationen. Bestenfalls stimmen unsere Erfahrungen mit den Informationen überein. Sie können aber auch davon abweichen. Informationen wie: „Jeder kann alles erreichen, wenn er sich nur ausreichend bemüht“, können auf uns zutreffen, oder auch nicht. Wird unser Bemühen von Erfolg gekrönt, stimmt diese Information für uns. Erleben wir aber, wie wir uns bemühen und dennoch das Ziel nicht erreichen, stimmt die Information nicht mit unserer Erfahrung überein. Dann gibt es da eine fremde Information und dort eine persönliche Erfahrung, die der Information widerspricht.

Manchmal wird die Erfahrung mit einer nicht dazu passenden Information vermischt.  Wenn die Mutter uns abwertet aber im selben Atemzug beteuert, wie sehr sie uns doch liebt, so passen ihre Worte nicht mit der verletzenden Erfahrung überein. Hier weicht die Information von unserer Erfahrung ab.

Die Erfahrung wird höher gewichtet als die Information

Information ist wichtig, die Erfahrung ist aber ausschlaggebend. Betrachten wir das Beispiel der Mutter, deren Worte nicht im Einklang mit ihren Taten stehen. Die natürliche Reaktion darauf wäre, der Information, also den Worten der Mutter, nicht zu glauben. In der Natur wird die Erfahrung höher gewichtet als die Information. Im Normalfall orientieren wir uns folglich an der Erfahrung. Daher ist es auch schwierig, uns mit positiven Sätzen zu motivieren, wenn diese nicht zu unserer bisherigen Erfahrung passen.

Manchmal wird die Information aber höher gewichtet als die Erfahrung. Dann blenden wir die negative Erfahrung mit der Mutter aus und ihre Liebe wird hervorgehoben. Lediglich in Ausnahmesituationen wird die Information höher gewichtet als die Erfahrung. Wenn beispielsweise ein positives Bild der Mutter für uns überlebenswichtig ist. Doch wir zahlen einen hohen Preis dafür und opfern unsere Wahrnehmung und unser Spüren.

Stimmen Information und Erfahrung nicht überein und vermischen wir sie, dann bauen wir eine ungünstige Verknüpfung auf. Dann glauben wir, dass Abwertung ein Ausdruck davon ist, dass wir wichtig sind und geliebt werden. Aus so einer Vermischung bauen wir eigenwillige Glaubenssätze auf wie: „Nur wer dich wirklich mag, wird dir deine Fehler aufzeigen“. Doch dieses Aufzeigen der „wahrgenommenen Fehler des anderen“ ist abwertend. Die Abwertung wird ausgeblendet und die helfende und unterstützende Motivation betont. Was zu einer Irritation führt – man merkt die Abwertung und darf sich nicht wehren, weil es ja gut gemeint war. Geschieht dies, verbinden wir zwei Themenbereiche miteinander, die nicht zusammengehören. Abwertung ist nie ein Ausdruck von Liebe oder gemocht werden, sondern einfach nur eine Abwertung.

Die stetige Wiederholung einer Erfahrung lässt sie zur Wirklichkeit werden

Wiederholen sich unsere Erfahrungen, verfestigen sie sich und werden zu einer fixen Annahme. Unsere Vorstellungen und Erwartungen zeigen uns folglich auf, welche Erfahrungen wir bisher gemacht haben. Unsere Erwartungen entsprechen unseren bisherigen Erfahrungen, aber nicht unbedingt der Wirklichkeit.

Unsere frühen Erfahrungen können hilfreich sein

Unsere frühen Erfahrungen schaffen eine Wiederholungstendenz, egal ob diese für uns günstig ist oder nicht. Frühe Erfahrungen können unterstützend für unser weiteres Leben sein. Haben wir in unserer Kindheit beispielsweise gelernt, dass andere für uns da waren, wenn wir sie brauchten, entwickeln wir ein Gefühl von Vertrauen. Später fällt es leicht, uns vertrauensvoll an anderen Menschen zu wenden oder um Unterstützung zu bitten. Haben wir gelernt, dass wir in der Lage sind, unsere Probleme zu lösen, dann erleben wir uns auch später als Gestalter unseres Lebens. In schwierigen Situationen gehen wir dann davon aus, dass wir etwas bewirken können und suchen daher aktiv nach einer Lösung.

Unsere frühen Erfahrungen können uns auch blockieren

Haben wir jedoch laufend die Erfahrung gemacht, dass keiner für uns da war, wenn es uns schlecht ging, so verallgemeinern wir auch diese Annahme. Später erwarten wir nicht, dass jemand für uns da ist oder sich für uns interessiert. Aufgrund dieser Annahme ziehen wir uns zurück, wenn es uns schlecht geht. Durch unseren Rückzug sieht aber keiner mehr, dass es uns schlecht geht und so bleiben wir auch in der gegenwärtigen Situation mit unserem Schmerz allein. Aufgrund unseres Verhaltens gelingt uns nicht mehr, neue Erfahrungen zu machen.

Sich wiederholende Erfahrungen schaffen einen inneren Automatismus

Wiederholen sich unsere Erfahrungen, prägen sie sich tief in unser Gehirn ein. Am Anfang gleicht unser Gehirn einer leeren Landkarte. Unsere Erfahrungen sind es, durch die auf unserer inneren Landkarte Wege und Straßen eingezeichnet und Verbindungen geschaffen werden. Eine einmalige, nicht sonderlich emotionsgeladene Erfahrung gleicht einem kleinen Trampelpfad, der rasch wieder verschwinden und zuwachsen kann. Wiederholen sich Erfahrungen, so wird die entsprechende Spur aber immer wieder benützt und aus dem Trampelpfad wird eine betonierte Autobahn. Haben wir einmal so eine innere Autobahn geschaffen, ist es schwierig, sie wieder zu verlassen oder gar zu verändern.

Wir wiederholen unsere Gewohnheiten

Die Psyche und der Körper sind auf Effizienz ausgerichtet. Es wäre nicht effizient, immer ständig alles neu erlernen zu müssen. Haben wir einmal gehen oder lesen gelernt, ist es günstig, wenn wir diese Fähigkeiten auch weiterhin abrufen können. Doch so wie wir später automatisch gehen oder lesen, so geht es uns auch mit unseren psychischen Mustern. Erwartungen oder Muster sind vertraute Reaktionsweisen, die automatisch abgerufen werden. Wo wir Gewohnheiten aufgebaut haben, reagieren wir immer gleich. Wir reagieren automatisch so, wie wir gelernt haben zu reagieren, egal ob unsere Reaktion zur gegenwärtigen Situation passt oder nicht. Wir wiederholen unsere gewohnten Erfahrungen, was dazu führt, dass wir uns in diesen Bereichen nicht mehr weiterentwickeln.

Wollen wir eine Veränderung, brauchen wir neue Erfahrungen - siehe Artikel "Neue Erfahrungen".



Ich habe jetzt den Blog Erkenntnisse von der Couch eröffnet. Dort finden Sie weitere interessante Beiträge, wie beispielsweise Vorsicht: Burnoutgefahr! oder die Beitragsserie "Wenn Liebe weh tut". Hier geht es zum ersten Teil dieser Serie: Wenn Liebe weh tut - Bedrohliche Nähe.

©  Mag. Brigitte Fuchs