Die meisten Gedanken, die wir haben, empfinden wir nicht als störend, sie fallen uns nicht einmal sonderlich auf. Denken wir bspw. daran, dass wir noch eine Milch besorgen sollten, eine Pizza essen wollen, es heute ziemlich kalt ist, wir auf die Toilette müssen etc., dann bekommen solche Gedanken oft einen Ausdruck und ziehen normalerweise rasch wieder vorüber. Gedanken tauchen auf und werden durch andere ersetzt. Solche „banalen“ Gedanken lösen keine Sintflut an Folgegedanken und Folgegefühlen in uns aus.
Wir kennen ebenso Gedankengänge, die uns durchaus länger beschäftigen. Zum Beispiel wenn wir uns absichtlich mit einem Thema intensiver auseinandersetzen, wenn wir etwas lernen wollen, wenn wir ein Problem lösen wollen und uns daher mit einem Bereich gedanklich näher beschäftigen. Sich längerfristig mit einem Thema zu beschäftigen, muss nicht automatisch belastend sein.
Damit uns
ein Gedanke längerfristig beschäftigt und von uns als störend empfunden wird, benötigt es eine gewisse Qualität.
Gedanken, die sich aufdrängen und die wir nur schwer wieder loswerden, haben immer etwas damit zu tun, dass wir
- solche Gedanken persönlich machen.
- solche Gedanken negativ bewerten.
- solche Gedanken nicht haben wollen.
- solche Gedanken uns bedrohen oder ängstigen, oder sonstige ungute Gefühle in uns hervorrufen.
- wir ihnen keine Möglichkeit des Ausdrucks geben wollen und daher keine gedankliche Entlastung finden.
- sich eine Angst aufbaut, diese Gedanken könnten real werden.
Zu 1.
Wir machen diese Gedanken persönlich:
Gedanken, von denen wir uns nicht mehr lösen können, haben immer etwas damit zu tun, dass wir uns persönlich von diesem Inhalt betroffen fühlen. Haben wir den Gedanken, einen geliebten Menschen könnte etwas geschehen, löst dies eine persönliche Angst aus. Tauchen Gedanken auf, wir könnten unsere Arbeit, unser Haus, unser Geld, unseren Freund etc. verlieren, fühlen wir uns zutiefst persönlich betroffen und beginnen uns zu sorgen, zu ängstigen usw.
Im Vergleich dazu fühlen wir uns nicht zutiefst persönlich davon betroffen, wenn wir noch eine Milch kaufen wollen. Dies ist einfach ein Gedankeninhalt, der für uns keine besondere oder gar existenzielle persönliche Bedeutung hat. Bei einem „banalen“ Gedanken haben wir noch eine Distanz zwischen uns und dem jeweiligen Gedanken.
Doch bei persönlichen Gedanken sieht dies gleich ganz anders aus. Wir fühlen uns betroffen, sorgen und ängstigen uns oder sind schockiert. Wir verlieren damit jegliche Distanz zu diesem Gedanken.
Zu 2.
Wir bewerten diesen Gedanken negativ
Zwangsgedanken bzw. deren Inhalte werden normalerweise negativ bewertet. Wir finden die Gedanken schlecht, böse, schlimm, belastend, ängstigend usw.
Gedanken, die wir positiv bewerten, stören uns vergleichsweise nicht. Sind wir verliebt und denken den ganzen Tag an den Geliebten, dann empfinden wir dies als bereichernd und nicht als belastend. Freuen wir uns bereits Wochen vorher auf den Urlaub und planen ihn, dann ruft diese Beschäftigung ebenfalls keine negative Bewertung hervor.
Zu 3.
Wir wollen solche Gedanken nicht haben, lehnen sie ab
Haben wir einen Gedanken im Kopf, den wir ganz persönlich nehmen und negativ bewerten, dann entwickelt sich in uns automatisch eine ablehnende Haltung bzw. Einstellung. Wir wollen solche Gedanken nicht haben und wollen sie wieder loswerden. Sie sollen nicht länger unser Leben beeinflussen, nicht länger in unserem Kopf sein. Verweilen solche Gedanken länger, stören sie uns beträchtlich. Ein Gedanke stört uns nur dann, wenn er etwas in uns auslöst. Er lässt uns nicht los und er lässt uns nicht kalt. Gleichzeitig können und wollen wir ihn nicht annehmen oder akzeptieren.
Zu 4.
Der Gedanke löst negative Gefühle aus
Weil wir den Gedanken persönlich nehmen, ruft er auch ein persönliches Gefühl in uns hervor. Wir fühlen uns aufgrund des Gedankens schlecht, schuldig, bekommen Angst oder sorgen uns (um uns selbst oder um andere), schämen uns für diesen Gedanken (z.B. dafür, dass wir an so etwas auch nur denken können), ekeln uns vor den Inhalten der Gedanken usw.
Zu 5.
Wir wollen diesen Gedanken nicht nachgeben, sie nicht ausdrücken
Weil diese Gedanken nicht unseren Vorstellungen entsprechen und negativ bewertet werden, versuchen wir sie abzuwehren. Wir denken oder tun etwas anderes, versuchen uns abzulenken oder zu beruhigen. Auf alle Fälle wollen wir diese Gedanken und die damit einhergehenden Gefühle NICHT ausdrücken. Wir versuchen „das was gerade in uns ist“ zu unterdrücken, zu verbergen, wegzumachen und zu ignorieren.
Die Gedanken finden keinen Ausdruck und damit gibt es für die Gedanken keine Tür, durch die sie unser System verlassen könnten. Sie bleiben in uns eingesperrt. Gerade bei den Zwangsgedanken ist es den Menschen häufig nicht einmal möglich über ihre Gedanken zu sprechen. Sie können und dürfen das eigene System nicht verlassen.
Zu 6.
Wir bauen eine zunehmende Angst auf, dass diese Gedanken real werden könnten
Nachdem wir diese Gedanken weder akzeptieren noch haben oder gut finden wollen, versuchen wir sie schnellst möglich wieder loszuwerden. Aber dadurch beginnen die Gedanken erst recht richtig an uns kleben zu bleiben.
Wir schlittern in eine psychische Dynamik, deren wir uns nicht bewusst sind. Die Gedanken gleichen streunenden Hunden, mit denen wir nichts zu tun haben wolllen, denen wir aber laufend Futter geben. Wir schenken ihnen Aufmerksamkeit, nehmen sie persönlich und fühlen uns persönlich zuständig oder betroffen, gleichzeitig aber lehnen wir sie ab, versuchen sie zu ignorieren und abzuwehren. Erst aufgrund unserer Haltung und der daraus entstehenden Aktionen werden die Gedanken so beherrschend in unserem Leben. Wir schenken ihnen dauernd Aufmerksamkeit, im positiven wie im negativen Sinne. Genau dadurch werden sie aber laufend genährt. Doch was machen streunende Hunde, wenn sie dauernd gefüttert werden. Sie kommen immer wieder zurück und bringen sogar noch ihre Freunde mit.
Genau dieser Mechanismus wird ins Laufen gebraucht. Nachdem wir die Gedanken nicht einfach akzeptieren und sein lassen können, werden sie verstärkt. Der Kreislauf schließt sich. Nun tauchen diese Gedanken vermehrt auf.
Kommen diese Gedanken öfters, fallen wir in eine logische Fehlinterpretation. Wenn solche Gedanken so stark in uns auftauchen, haben sie ja wahrscheinlich eine Bedeutung. Vielleicht könnten sie wahr werden. Aus der Angst heraus, unsere Gedanken könnten real werden, entsteht erst recht ein Vermeidungsverhalten und der Widerstand gegenüber diesen Gedanken vergrößert sich. Wir füttern erneut die streunenden Hunde.