Dieser Mensch muss ein Umfeld vorgefunden haben, wo er kein Vertrauen entwickeln konnte. Menschen, die ihn immer wieder körperlich, emotional oder intellektuell zutiefst verletzt, beleidigt, gekränkt und gedemütigt haben. Eine Welt, in der es viele Abwertungen, Zurückweisungen, Verletzungen, vielleicht auch körperliche Misshandlungen gab. Eine Welt, wo man ständig aufpassen und achtsam sein musste, um sich zumindest ansatzweise vor den nächsten Übergriffen zu schützen. Dieses Umfeld mag sehr wohl zwischendurch auch liebevolle Tendenzen gezeigt haben. Die Mutter, die bspw. auch umarmte und erzählte, wie lieb sie einem doch hat. Aber der nächste Übergriff, die nächste Abwertung, die nächste Misshandlung kam bestimmt. Es gab wenig im Verhalten der Bezugspersonen, woran man sich wirklich orientieren konnte. Sie mochten lieb und zuvorkommend sein und dann kippten sie und waren plötzlich bösartig und verletzend. Machte man in schönen Momenten den Fehler sich zu öffnen und war man ehrlich und verletzlich, dann wurde das bestimmt wieder gegen einem verwendet. Man lernte, dass sich zu öffnen, verletzlich, ehrlich und emotional zu sein, eine große Dummheit war. Ein Kardinalsfehler, der sicher wieder bestraft wird.
Was fehlte in dieser vorgefundenen Welt völlig? Es fehlte zumindest ein Mensch, der einem als Kind vor dem Unberechenbaren und Verletzenden schützte. Ein Mensch, dem man bedingungslos vertrauen konnte, der einem verstand und Dinge erklärte. Der für einen eingetreten wäre und Sicherheit und Vertrauen vermitteln hätte können.
Wenn wir die Welt verstehen, die ein Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung vorgefundenen hat, wirkt sein Verhalten nicht mehr gestört. Dann wird begreifbar, dass sich Menschen in so einer Umgebung nicht anders entwickeln konnten. Wird die Welt oder werden die Menschen als ungerecht, böse, übergriffig und abwertend erfahren, werden wir automatisch misstrauisch und wir beginnen uns zu schützen. Wir versuchen schneller zu sein als die anderen. Wir werden angreifen, noch bevor wir angegriffen werden. Wir werden lernen, uns so rasch als möglich zu verteidigen, ehe noch schlimmeres geschieht. Wem hätte man vertrauen sollen, wenn nie jemand da war, auf den man sich verlassen konnte, dem man vertrauen konnte?
So ein Mensch mag in der “normalen” Welt eine gestörte Persönlichkeit haben, in seiner damalig vorgefundenen “gestörten” Welt war dies eine “normale” Persönlichkeitsentwicklung.
Weil die frühkindlichen Erlebnisse die ersten Erfahrungen sind, brennen sich diese zutiefst ein. Daher sind sie nicht so einfach zu lockern oder zu lösen. Es dauerte lange, bis solche Muster entstanden sind und es braucht daher auch Zeit, bis so ein Mensch wieder zaghaft lernen kann, sich auf andere näher einzulassen, ihnen vielleicht wieder irgendwann zu vertrauen. Diese frühkindlichen Erfahrungsmuster stellen persönliche Basismuster dar, die in vielen Situationen automatisch aktiviert werden. In annähernd ähnlichen Situationen ist der Betroffene daher jederzeit bereit, sich sofort wieder zu verteidigen und sich persönlich zu schützen.
Alle Persönlichkeitsstörungen haben sich aufgrund einer vorgefundenen, teilweise verzerrten Welt gebildet und funktionieren in ihren Mechanismen ähnlich.