Ein Interview, erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 04.08.2013.

Wie viel Sex braucht die Liebe?

Es sind zwei heikle Fragen, die viele Paare beschäftigen. Haben wir eigentlich genug Sex? Und wie viel Sex haben die anderen? Eine Psychotherapeutin gibt die erleichternde Antwort: Vergessen Sie die absurden Richtwerte!

Wie viel Sex ist in einer Beziehung eigentlich normal? Auf diese Frage liefern einschlägige Ratgeber, Frauenmagazine und Sexperten verschiedene, wenn auch klare Antworten: einmal, zwei Mal oder drei Mal wären optimal.
Wenn die Innsbrucker Psychologin und Psychotherapeutin Brigitte Fuchs diese Frage hört, rückt sie mit keiner Zahl heraus, im Gegenteil: „Natürlich gibt es Richtwerte, es gibt für alles Richtwerte. Aber genau das ist ja das Problem von verstandesorientierten Menschen.“ Die Frage nach Häufigkeiten sei nämlich sehr oberflächlich. „Wir suchen dauernd nach Veränderungen, vergleichen uns, orientieren uns an Standards und Normen.“ Das aber verhindere, die natürlichen Veränderungen, die sowieso geschehen, zuzulassen. Fuchs erteilt prinzipiell keine Ratschläge, weil uns diese wieder auf ein vermeintliches Ziel hintreiben und von uns selbst entfernen.
Aber zurück zum Thema Beischlaf: Als zentral erscheint Fuchs, die vier Stufen der sexuellen Entwicklung zu verstehen: Am Anfang steht die biologische Stufe, die Stufe der Triebbefriedigung, des Spannungssex. „Das klassische männliche biologische Drängen geht in Richtung Sex und das weibliche biologische Drängen in Richtung Beziehung“, erklärt Fuchs. In einem zweiten Schritt schaltet sich der Verstand ein, körperliche Attraktivität, Status, das Thema Partnerschaft rücken in den Mittelpunkt. „Die Sexualität wird fokussiert. Der Mensch versucht ein Ziel zu erreichen, eine mögliche Orgasmusfixierung oder die Suche nach einer immer intensiver werdenden Sexualität beginnt hier“, so Fuchs. Auf der dritten Ebene suchen wir schließlich nach Liebe, einem Seelenverwandten, der uns emotional anspricht. Die Sexualität wird entspannter, der Partner weniger austauschbar. Die vierte Stufe, die bewusste Sexualität, ist bei uns wenig bekannt, sie geht über das biologische und psychische hinaus, das Verlangen nach Sex verschwindet, was nicht bedeutet, dass kein Sex mehr stattfindet. Stichwort: Tantra.
Wie oft ein Paar nun miteinander schläft, hängt ganz stark davon ab, in welchen Stadium der sexuellen Entwicklung es sich befindet. Am Anfang einer Beziehung genügt oft nur der Gedanke an den Partner, um erregt zu werden.
Daneben gibt es aber auch Paare, die nach jahrelanger Beziehung noch auf der biologischen Stufe stehen und viel Geschlechtsverkehr brauchen und solche, die keinen sexuellen Drive haben.
Genau diese zwei Extreme machen das Thema Sex aber so empfänglich für Missverständnisse. Der Klassiker: Er will rammeln, sie will reden. Der Mann ist eben von seiner Biologie aus so angelegt, seinen „Samen zu verstreuen“, während die Frau tendenziell auf eine Bindung und Beziehung aus ist. Und: Nicht jeder hat gelernt, über Sex zu reden. Um über Gefühle und Wünsche sprechen zu können, braucht es ein Klima des Respekts und der Akzeptanz.
 
Viele Menschen wollen aber auf Teufel komm raus ihre eigenen Bedürfnisse durchsetzen. Die Frage ist dann: Kann ich damit leben, wenn mein Partner ständig (oder fast nie) Sex haben will? Schaffe ich es, meine Erwartungen zu reduzieren und Kompromisse einzugehen? Komme ich damit klar, dass ich über gewisse Dinge nicht reden kann? Denn eines ist fix: Ich werde meinen Partner niemals prinzipiell verändern können. „Die Grenzen des Partners werden zu den Grenzen der Partnerschaft“, bringt es die Psychotherapeutin auf den Punkt.
Ein weiterer Stolperstein in vielen Beziehungen: Den Spannungssex um jeden Preis aufrecht erhalten zu wollen. Viele Paare begeben sich nach Abflauen der anfänglichen Geilheit auf die „Reizschiene“: Sie probieren neue Stellungen aus, Sexspielzeug, Pornos, Swingerclubs. Um die Spannung ständig neu aufzubauen, braucht es immer mehr davon. Diesen Reizen blind und unreflektiert nachzugeben, hält den Menschen wie seinen Sex auf der Spannungsschiene fest und verhindert eine Weiterentwicklung.
Eine Alternative: mehr Entspannung. „Wir berühren uns und schauen was passiert, ohne Ziel, ohne Orgasmusfixierung. Sex ist schließlich mehr als der bloße Geschlechtsakt“, plädiert Fuchs für mehr Gelassenheit. Bewusste Sinnlichkeit, die Dinge annehmen, ohne sofort etwas verändern oder optimieren zu wollen.
Dieses Sich-Zeit-nehmen findet in vielen Beziehungen jedoch keinen Platz. Es ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass Männer und Frauen laufend lustloser werden. „Das Leben ist lustfeindlich. Es gibt immer weniger Freiräume, in denen Sinnlichkeit entstehen kann. Und immer weniger Freiräume für Paare, die stattdessen auf die Bewältigung des Alltags getrimmt sind. Der Mensch hat überall zu funktionieren, auch beim Sex“, weist Fuchs auf die Tücken der Leistungsgesellschaft hin.
Damit das Sexleben nicht einschläft, müsse man auf seine eigene Entwicklung setzen statt die Veränderung des Partners zu fordern. „Der einzige Tipp, den ich geben kann“, sagt Fuchs,” ist: neugierig bleiben.” Also weniger wollen und mehr passieren lassen.